"missed abortion" (11.SSW) - erzählt von Annelies, 36, Maria Saal

"missed abortion" (11.SSW) - erzählt von Annelies, 36, Maria Saal

 

Mein Mann und ich gingen gemeinsam zum Frauenarzttermin. Wir freuten uns darauf unser Baby wieder zu sehen und waren so gespannt wie groß es nun sein würde, wie es aussehen würde, ob wir schon mehr erkennen würden. Ich hoffte den Mutter-Kind-Pass zu bekommen - irgendwie empfand ich dieses Büchlein als eine Auszeichnung, eine Bestätigung dafür, nun auch zum Club dazuzugehören.
Um uns nicht zu lange warten zu lassen, begann meine Gynäkologin, nach einem kurzen Gespräch über mein Befinden, gleich mit der Untersuchung. Daher es sich noch um eine frühe Woche handelte, wurde der Ultraschall vaginal durchgeführt.
Ich persönlich empfinde diese Situation an sich schon als unangenehm und dann schallte meine Frauenärztin ungewöhnlich lange ohne etwas zu kommentieren. Sie nahm Maß und klickte auf ihrem Gerät, nahm wieder Maß, wechselte Einstellungen und ich vermutete schon, dass etwas nicht stimmte. Ich schob diesen Gedanken aber weg, denn ich konnte ja sehen, dass meine Baby gewachsen war. Es war also bestimmt alles gut. Als sie dann aber sagte, dass ihr nicht gefallen würde, was sie da sehe, war mir eigentlich schon klar was passiert war.  
Ich empfand im ersten Moment tatsächlich nichts. Ich empfand die Situation als unwirklich. War weit weg und doch ganz in meinem Kopf. Ich konnte meine Gedanken sehr gut beobachten. Ich dachte: "So fühlt sich das also an, wenn man sein Kind verliert" Und im nächsten Moment: "Ich bin gar nicht traurig. Warum fühle ich nichts? Vielleicht habe ich mein Kind nicht geliebt. Vielleicht ist es besser, dass es gestorben ist, denn ich bin anscheinend eine schreckliche Mutter. Bestimmt sogar, denn sonst würde mich der Tod meines Kindes doch treffen." Alles das, spielte sich in wenigen Sekunden ab.
Obwohl ich die Antwort bereits kannte, fragte ich meine Ärztin, ob mein Baby gestorben sei. Sie bejahte meine Frage. Sagte, dass sie keinen Herzschlag mehr finden könne und es ihr sehr leid täte. Und auf einmal realisierte ich was passiert war. Ich brach in Tränen aus. Meine Ärztin nahm mich in den Arm. Halbnackt, verletzt, geschockt, durch und durch erfüllt von Trauer stand ich einfach nur da.

Ich zog mich wieder an, mein Mann und ich versuchten die Fassung wiederzuerlangen und meine Ärztin besprach mit uns was nun weiter geschehen wird. Sie machte für den nächsten Tag einen OP Termin aus und mein Mann und ich fuhren nach Hause. Ohne Mutter-Kind-Pass. Ohne einem schlagenden Herz in meinem Bauch. Ohne erträumte Zukunft. Es war der 22.12.2016.

 

Was hat dir nach deinem Verlust Halt gegeben?

Am meisten Halt, hat mir Ruhe und Zeit für mich gegeben. Zeit, in der ich Dinge tun konnte, die mich ein wenig ablenkten, aber nicht zu sehr. Die ersten Tage nach der Kürettage bin ich hauptsächlich puzzelnd am Boden gesessen und habe Musik gehört. So hatte ich Raum zu fühlen, zu weinen, mich zu ordnen und mich abzulenken wenn ich keine Kraft mehr hatte dies zu tun.

Es gab auch ein paar wenige Freundinnen und meine Schwester die mir Halt gaben. Auch mein Mann. Ich neige aber dazu, die Dinge zuerst alleine mit mir klären zu wollen, bevor ich mich andern öffne und mich austauschen möchte.

Welche Auswirkungen hatte der Verlust auf dein Leben?

Die Auswirkungen auf mein Leben waren weitreichender als ich es mir je hätte vorstellen können - im "negativen" aber auch im "positiven".

Kurz nach dem Verlust bemerkte ich, dass ich auch ein Stück meiner Identität verloren hatte - ein Kind gehabt zu haben und doch keine Mutter zu sein überforderte mich komplett. Heute weiß ich, dass ich schon Mutter war.

Ich verlor das Vertrauen in meinen Körper, in meinen Partner, in das Leben. Ich bekam Angst. Die Angst kam ganz plötzlich und trat immer beim Autofahren als Beifahrer auf. Es dauerte eine Weile bis sie wieder verging. Das Vertrauen in meinen Körper kam schrittweise mit der Schwangerschaft meines Regenbogenbabys zurück.

Wie hat sich deine Trauer über die Zeit verändert?

Nach über 6 Jahren, denke ich noch immer jeden Tag an mein Baby. Aber die Trauer spüre ich nur noch selten. Anfangs war sie ständig präsent und wenn nicht, überkam sie mich ganz plötzlich in den unterschiedlichsten Situationen. Ob es mir gerade passte oder nicht, sie war da und ich konnte die Tränen nicht zurückhalten. Die Trauer war Anfangs schwer und dunkel. Sie war verbunden mit Vorwürfen und Schuldgefühlen. Mit dem Gedanken an Ungerechtigkeit und Angst. Heute ist die Trauer leichter und heller, mit sehsüchtigem vermissen verbunden.

Was ist das stärkste Gefühl, oder das häufigste das du spürst, wenn du an dein Baby denkst?

Seit einiger Zeit empfinde ich hauptsächlich Dankbarkeit wenn ich an mein Baby denke. Und Liebe. Ich bin dankbar, dass es bei mir war und meinem Leben eine eindeutige Richtung gegeben hat.

Fühlst du dich mit deinem Baby verbunden?

Ja. Mein Weg, mich ganz stark mit meinem Baby verbunden zu fühlen, ist sein Gefährte "Kunibert" und das Projekt Daisies & Forget me not. Durch die Geschichte, dass mein Baby mit Kunibert weiterlebt, ich mir immer wieder Abenteuer für die Beiden ausdenke und diese in meinen Alltag verwebe, fühle ich mich sehr oft verbunden. Auch wenn ich die Puppe Kunibert sehe, denke ich ganz automatisch an mein Baby, muss lächeln und spüre die Liebe.

Was hättest du dir nach deinem Verlust von deinem Umfeld gewünscht?

Ich hätte mir gewünscht, in meiner Trauer und meinem Verlust angenommen zu werden. Gehalten und gesehen zu werden. Dass mir das Recht um mein Baby zu trauern, zugesprochen worden wäre. Hätte mir Worte des Verstehens und des Mitgefühls gewünscht und nicht die des Trostes. Und ich hätte mir eine vollständige medizinische Aufklärung gewünscht um selbstbestimmt meinen Weg wählen zu können.